Ich denke, die meisten von uns wissen, wie es ist, Lust zu verspüren. Diese Lust mag vielleicht von Person zu Person variieren – die einen sehen Sex als entspannende Aktivität, die anderen empfinden Lust nur mit einem geliebten Partner, dem sie zu 100 Prozent vertrauen können.
Du weißt ziemlich genau, was ich meine. Doch dieses Gefühl kennt nicht jeder. Eine gute Freundin von mir zum Beispiel kennt dieses Gefühl, dieses Verlangen, dass man für einen anderen Menschen empfinden kann, nicht.
Aber am besten kann sie das vermutlich selbst erklären, darum habe ich sie gebeten, mir ein paar Fragen zu beantworten.
Asexualität heißt, ich verspüre keinerlei sexuelle Anziehung
Vielen Dank, meine Liebe, dass du dir heute die Zeit für uns nimmst, um über dieses intime Thema zu sprechen. Kläre uns doch bitte auf, was das Besondere an deiner Sexualität ist.
Das Fachwort dafür ist Asexualität. Das heißt, dass ich keinerlei sexuelle Anziehung verspüre, weder zu Männern noch zu Frauen. Das ist gar nicht so unüblich, ich kenne einige Personen, die sich auf dem Ace-Spektrum befinden. (Ace, das ist die Kurzform für asexuality, aus dem Englischen übernommen.)
Das heißt, du hast einfach keine Lust auf Sex? Also niemand wirkt eine sexuelle Anziehung auf dich aus?
Die Kurzantwort ist schlicht nein. Aber eigentlich ist das Ganze noch etwas komplizierter. Ich hab doch vorhin was vom Ace-Spektrum gesagt, denn asexuell ist nicht gleich asexuell. Asexualität beschreibt nur die Abwesenheit von sexueller Anziehung. Es heißt nicht, dass man keinen Sex haben kann (oder will). Aber da fangen eben die Unterschiede an. Es gibt Asexuelle, die mögen absolut keinen Sex, es gibt welche, die haben gerne Sex und genießen ihn auch, und es gibt welche, die haben nur Sex mit einem Partner, zu dem sie eine emotionale Bindung eingegangen sind. Diese Form hat sogar ihren eigenen Namen: Demisexualität. Ich persönlich falle in diese letzte Kategorie.
Ich dachte, wenn kein Orgasmus bei rumspringt, liegt das daran, dass ich eine Frau bin und das nunmal so ist
Hattest du denn schon Beziehungen?
Ja, mehrere sogar. Ich hatte sogar einige reine Fickbeziehungen.
Und wie hat sich deine Asexualität darauf ausgewirkt?
Damals wusste ich noch nicht, dass ich asexuell bin – oder, dass es diese Sexualität überhaupt gibt. Sex war schlicht und ergreifend etwas, das zu einer Beziehung gehörte und das man halt machen muss. Und wenn halt kein Orgasmus bei rumspringt, dann liegt das daran, dass ich eine Frau bin und da ist das nunmal so.
Wobei ich nicht sagen kann, dass der Sex nie Spaß gemacht hat. Das hat er schon, nur eben ausschließlich mit den Menschen, mit denen ich eine Beziehung hatte. Die reinen Fickbeziehungen waren entweder sehr kurzlebig (da der Sex einfach nur schlecht war) oder mit jemanden, in den ich zu der Zeit verliebt war. Einseitig. Aber der Punkt ist, dass von meiner Seite eine emotionale Bindung existierte. Als die dann weg war, nahm auch die Qualität des Sexes ab. Das hat mich ziemlich verwirrt damals, denn eigentlich hatte sich nichts geändert. Der Sex war genau gleich wie vorher. Nur ich hatte keinen Spaß mehr daran. Es hat dann auch nicht mehr lange gedauert bis diese ‘Beziehung’ dann geendet hat.
Heißt das, du hattest noch nie einen Orgasmus?
Oh doch, den hatte ich schon. Zwar eher als Seltenheit, aber ist schon vorgekommen.
Sex ist ein netter Bonus, mehr aber auch nicht
In den Beziehungen hast du also sexuelle Anziehung für deinen Partner empfunden? Oder muss ich mir das mehr wie ein ‘wir sind in einer Beziehung, also sollten wir auch Sex haben’ vorstellen?
In meinem Fall war es beides. Ich war auf jeden Fall am Sex interessiert und es hat mir auch Spaß gemacht, aber da war immer auch so ein bisschen die Erwartung mit drin, dass Sex halt auch dazu gehört. Es hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht und ich habe den Sex auch genossen. Ich kann jetzt aber nicht sagen, dass ich Sex zwingend in einer Beziehung brauche. Es ist ein netter Bonus, mehr aber auch nicht.
Wie gehst du damit um?
Es ist auf der einen Seite eine große Erleichterung zu verstehen, warum mir Sex keinen Spaß macht. Oder warum ich auch einfach keinen Sex brauche. In unserer Gesellschaft hat Sex einen sehr hohen Stellenwert, es ist die Norm. Als ich jünger war, habe ich mich konstant gefragt, was mit mir nicht stimmt, warum ich nicht so wie die anderen bin. Als ich dann von Asexualität gelernt habe, war mir ziemlich schnell klar, dass mit mir alles in Ordnung ist – ich bin eben nur asexuell.
Sexualität ist nichts Statisches, man ist nicht zwingend entweder oder
Wie reagieren Menschen darauf?
Für die meisten, denen ich erklärt habe, dass ich asexuell bin, ist das erstmal kein Begriff. Aber verstehen tun sie es dann doch ziemlich schnell und die meisten sind verständnisvoll. Es gibt da natürlich auch Ausnahmen, aber für mich waren die bis jetzt relativ selten. Ich muss aber auch dazu sagen, dass ich meiner Familie zum Beispiel noch nichts davon erzählt habe und vermutlich auch nicht allzu bald tun werde. Nicht unbedingt, weil sie es nicht verstehen würden, sondern eher, weil es keine Relevanz für sie hat.
Am Wichtigsten ist es auf jeden Fall, es dem Partner zu erklären. Nicht jeder braucht unbedingt Sex, aber für viele ist es ein wichtiger Teil einer Beziehung. Man sollte vorher darüber sprechen, ob eine Beziehung überhaupt funktionieren kann, wenn einer keinen Sex will, der andere aber ganz viel. Das kann hart sein, aber vorzutäuschen, man möge Sex, aus Angst allein zu bleiben, ist definitiv nicht die Lösung.
Frauen mit geringer Libido wird ja auch hin und wieder an den Kopf geworfen, dass sie asexuell seien. Ist das das gleiche?
Das kann ich ehrlich gesagt nicht wirklich beantworten. Es ist durchaus möglich, dass Frauen mit geringer Libido asexuell sind, das kann aber auch andere Gründe und Ursachen haben. Sexualität ist nichts Statisches, man ist nicht zwingend entweder oder. Und wie sich das auswirkt, ist von Person zu Person unterschiedlich.
Keine Lust auf Sex zu haben, heißt nicht, dass mit euch etwas nicht stimmt
Was würdest du Menschen, die glauben, mit ihnen würde etwas nicht stimmen, weil sie keine Lust auf Sex haben, mit auf den Weg geben?
Zuerst einmal, keine Lust auf Sex zu haben, heißt nicht, dass mit euch etwas nicht stimmt. Sexualität ist sehr komplex und es gibt sehr viele Varianten und Geschmacksrichtungen. Es gibt Leute, die brauchen keinen Sex, genauso wie es Leute gibt, die ohne Sex nicht können oder wollen. Beides sind akzeptable Standpunkte.
Es stimmt allerdings auch, dass Sex einen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnimmt, was es schwer machen kann, sich akzeptiert zu fühlen. Und ich will nicht bestreiten, dass ich mir manchmal wünsche, ich wäre ‘normal’ – schlicht und ergreifend weil es einfacher ist, konform zu sein. Aber der Fehler liegt nicht bei uns, wir sind normal. Es ist das Problem unserer Gesellschaft, dass Asexualität immer noch als Randerscheinung behandelt wird. Gutes Beispiel hierfür: Als ich dieses Jahr auf der Pride in meiner Stadt war, habe ich vielleicht zwei Banner gesehen, in denen Asexualität aufgelistet wurde. Auf einem Event, auf dem Queerness zelebriert wird, sind wir immer noch die Außenseiter. Aber das heißt nicht, dass Asexualität unbedeutend ist oder dass wir uns verstecken sollten.
Vielen lieben Dank für deine offenen Worte. Ich hoffe, du bleibst einfach ein so toller Mensch, wie du bist!
Wenn du mehr über Asexualität erfahren willst, findest du ❥hier einige Bücher zu diesem Thema.
Deine Sally
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